Der Verband begrüßt Gesetzentwurf
Referentenentwurf des BMJ eines Gesetzes zur Zuständigkeitskonzentration der zivilrechtlichen Mobiliarvollstreckung bei den Gerichtsvollziehern und zu Zuständigkeitserweiterungen für die Rechtspfleger in Nachlass- und Teilungssachen
Sehr geehrte Damen und Herren,
für die Möglichkeit zur Stellungnahme danken wir herzlich.
1. Zuständigkeitsregelung der zivilrechtlichen Mobiliarvollstreckung
Die beabsichtigte Zuständigkeitsneuregelung der zivilrechtlichen Mobiliarvollstreckung und die Übertragung von Teilen der Forderungsvollstreckung auf den Gerichtsvollzieher im Sinne einer Effizienzsteigerung und Ressourceneinsparung wird seitens des Verbandes des Rechtspfleger e.V. grundsätzlich begrüßt.
Allerdings ist der im Entwurf angeführten dritten Alternative aus unserer Sicht der Vorzug zu gewähren. Gegen die nahezu vollständige Übertragung der Forderungspfändung auf den Gerichtsvollzieher bestehen insbesondere hinsichtlich der tatsächlichen Effizienzsteigerung und Ressourceneinsparung folgende Bedenken:
a) Zuständigkeitskonzentration?
Die Mobiliarvollstreckung würde trotz der beabsichtigten Übertragung großer Teile der Forderungspfändung auf den Gerichtsvollzieher sachlich und funktional zersplittert sein, da sich nach den Bestimmungen des § 828 Abs. 1 ZPO-E die Zuständigkeit des Gerichtsvollziehers im Bereich der Forderungspfändung auf die Zwangsvollstreckung in Geldforderungen beschränken soll, während die Zuständigkeit für die Pfändung von Herausgabeansprüchen und andere Vermögensrechten bei dem Vollstreckungsgericht verbleiben soll (§§ 847 Abs. 1 und 857 Abs. 1 ZPO-E).
Häufig erwachsen einem Schuldner aus der Rechtsbeziehung zu einem Dritten verschiedene pfändbare Ansprüche, die sich nicht allein auf Geldforderungen beschränken, z.B. bei der Pfändung von Ansprüchen aus der Geschäftsbeziehung zu einem Kreditinstitut, die auch die Pfändung angeblicher Anspruches auf Herausgabe der in den Depots und Unterdepots des Schuldners verwahrten Wertpapiere aus Sonder- und Drittverwahrung oder die Pfändung des Anspruchs auf Zutritt zum Schließfach umfassen kann. Auch bei der Pfändung von Gesellschaftsanteilen wären Pfändungen künftig parallel beim Vollstreckungsgericht und beim Gerichtsvollzieher zu betreiben, da sich aus der Beteiligung regelmäßig konkrete Zahlungsansprüche ergeben können. Gleiches würde für die Pfändung einer hypothekengesicherten Forderung gelten, bei der regelmäßig zugleich die Pfändung einer Eigentümergrundschuld ausgesprochen wird.
Weitere Problemen der angedachten Zuständigkeitszersplitterung würden bei der Mitpfändung von Gestaltungs- und sonstigen Nebenansprüche entstehen. Künftig wäre genau zu differenzieren, ob es sich hierbei um unselbständige Nebenansprüche zum Zahlungsanspruch, die von der Pfändung des Zahlungsanspruches mitumfasst sind, oder aber um einen selbständigen Gestaltungs- und Nebenanspruch handelt. Die Pfändung eines selbständigen Gestaltungs- und Nebenanspruches dürfte mit Blick auf die Bestimmungen des § 828 Abs. 1 ZPO-E nicht in der Zuständigkeit des Gerichtsvollziehers liegen.
Nicht hinreichend geregelt erscheint ferner, wie bei auszulegenden und ggfs. konkurrierenden Folgeanträgen, bzw. Rechtsbehelfen oder Vollstreckungsschutzanträgen hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit zu verfahren ist. Entsprechende Anträge werden von den im Regelfall juristisch ungebildeten, rechtssuchenden Schuldnern gestellt. Das Vollstreckungsorgan hat in diesen Fällen häufig aufzuklären und das Anliegen oftmals zunächst im Wege der Auslegung rechtlich einzuordnen. Hierbei stellt sich nicht selten die Frage, ob Pfändungsschutz nach § 850f Abs. 1 ZPO, § 850i ZPO oder aber nach § 765a ZPO begehrt wird, oder das Anliegen als Erinnerung gem. § 766 ZPO zu werten ist. Da die Entscheidung über die Bewilligung von Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO weiterhin in der alleinigen Zuständigkeit der Vollstreckungsgerichte verbleiben soll, könnte es künftig dazu kommen, dass der Gerichtsvollzieher einen ihm zugegangenen unklar formulierten Pfändungsschutzantrag als einen solchen nach § 765a ZPO auslegt und den Antrag zuständigkeitshalber an das Vollstreckungsgericht verweist, während das Vollstreckungsgericht einen Pfändungsschutzantrag nach einer Vorschrift erblickt, dessen Entscheidung in die Zuständigkeit des Gerichtsvollziehers fiele.
b) Effizienzsteigerung?
Zu bedenken ist, dass die beabsichtigte Aufgabenübertragung eine tägliche Erreichbarkeit der Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher erfordert, um eilige Anträge (z. B. im Rahmen der Kontopfändung) aufnehmen und bearbeiten zu können. Dies dürfte mit den weiteren Tätigkeiten der Gerichtsvollzieher und ohne die Rückgriffmöglichkeit auf die Rechtsantragstellen schwer vereinbar und den rechtssuchenden Bürgerinnen und Bürgern kaum zuzumuten sein. Schuldnern würde kurzfristiger effektiver Rechtsschutz z.B. im Hinblick auf Folgeanträge aus dem Bereich des Pfändungsschutzes für Kontoguthaben möglicherweise aufgrund der eingeschränkten zeitlichen und örtlichen Erreichbarkeit „ihres“ zuständigen Gerichtsvollziehers verwehrt bleiben. Es erscheint kaum zielführend und einem effektiven Rechtsschutz zuwiderlaufend, dass der Gerichtsvollzieher Anträge entweder nur zu seinen individuellen Sprechzeiten aufnimmt oder Rechtssuchende zur Protokollierung ihres Anliegens an das Amtsgericht verweist, der ggfs. eilig zu entscheidende Antrag dann wiederum dem Gerichtsvollzieher zuzuleiten wäre. Ganz erhebliche Schwierigkeiten ergeben sich für den rechtssuchenden Schuldner insbesondere, wenn sich die Geschäftsverteilung der Gerichtsvollzieher innerhalb eines Gerichtsbezirks ändert oder „ihr“ Gerichtsvollzieher z.B. krankheitsbedingt nicht erreichbar ist.
Auch die Fachanwendungen der Gerichte und des Gerichtsvollziehers müssten aufeinander abgestimmt sein, um eine effiziente und durchlässige Bearbeitung aufgrund der dann ggfs. bestehenden Schnittstellen, s.o., zu gewährleisten. Auch in Anbetracht der geplanten Übergangszeit mit der Möglichkeit der Verlängerung über die Ausnutzung einer Öffnungsklausel bestehen aus Effizienzgründen Bedenken. Großgläubiger und Inkassobüros agieren bundesweit und auch Schuldner verlagern ihre Wohnsitze über Ländergrenzen hinweg, sodass zu befürchten ist, dass alle Vollstreckungsorgane mit Mehrarbeit durch Hinweisverfügungen und der Klärung von Zuständigkeitsfragen belastet werden. Ein bundesweit einheitliches Inkrafttreten ist aus Gründen der Rechtssicherheit erforderlich.
c) Ressourceneinsparung?
Hinsichtlich der Übertragung auch der Folgeanträge sowie der Anträge zur privilegierten Forderungspfändung gem. §§ 850d, 850f II ZPO auf den Gerichtsvollzieher bestehen Bedenken, weil diese Entscheidungen und auch jene über Zusatz- und Folgeanträge rechtlich anspruchsvoll sein können und umfassende Kenntnisse auch aus anderen Rechtsgebieten voraussetzen. Hierunter fallen insbesondere die privilegierte Vollstreckung (§§ 850d, 850f II ZPO) sowie die Nichtberücksichtigung von Unterhaltsberechtigten (§ 850c VI ZPO, auch im Rahmen privilegierter Vollstreckung). Exemplarisch zeigt die jüngere höchstrichterliche Rechtsprechung zur Unterhaltsvollstreckung (z.B. BGH 15.3.2023 – VII ZB 68/21 u. BGH 12.6.2024 – VII ZB 24/23) die Berührungspunkte mit Familien- und Unterhaltsrecht sowie ein stetiges Aktualisierungsbedürfnis (über Folgeanträge) für die Dauer der Vollstreckung. Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger werden in ihrer Ausbildung mit diesem breiten Fachwissen ausgestattet. Bliebe das Vollstreckungsgericht in Gestalt des Rechtspflegers allein noch für einzelne Pfändungsanträge zuständig, würde das Mobiliarvollstreckungsrecht in der Praxis der Rechtspfleger zum Randsachgebiet verkümmern. Auf die Expertise des Rechtspflegers als ausgewiesenem Fachjuristen für den gesamten Bereich des Vollstreckungsrechts würde für den Bereich der Forderungspfändung weitgehend verzichtet werden. Ressourcen würden in fachlicher Hinsicht daher eher verschwendet, als eingespart werden. Denn das Fachwissen müssen die Rechtspfleger nicht nur aufgrund der verbliebenen Zuständigkeiten im Bereich der Forderungspfändung, sondern auch für das Verteilungsverfahren (§§ 853, 872ff. ZPO) oder für Vollstreckungsschutzanträge (§ 765a ZPO), aber auch für andere Rechtspflegeraufgaben weiterhin erwerben und anwenden können. So sind diese Kenntnisse auch für Rechtspfleger im Grundbuchamt (§§ 830, 857 VI ZPO), im Insolvenzgericht (§§ 36, 89 InsO), in der Zwangsversteigerungsabteilung (§§ 20, 21 ZVG) und insbesondere bei den Staatsanwaltschaften in der Vermögensabschöpfung unverzichtbar.
Wie im Gesetzesentwurf zutreffend ausgeführt, würde sich die Zuständigkeitsverschiebung nicht nennenswert auf das Studium der Rechtspflege auswirken. Ressourcen würden hier allenfalls marginal eingespart werden können, hätten aber gegebenenfalls negative Auswirkungen auf das Fachwissen der Rechtspfleger, das für andere Tätigkeitsbereiche von Nöten ist und welches daher an anderer Stelle kompensiert werden müsste.
Der allenfalls geringfügigen Ressourceneinsparung in der Ausbildung der Rechtspfleger stünde ein unverhältnismäßig hoher Aus- und Fortbildungsaufwand der künftigen und jetzigen Gerichtsvollzieher gegenüber, der nicht mit der geplanten Stundenzahl zu erreichen sein wird.
Auch in der Praxis dürfte das Einsparungspotential tatsächlich geringer ausfallen als erwartet, da die dem Vollstreckungsgericht obliegenden Verfahren, z.B. die Pfändung von weiteren Vermögensrechten (§ 857 ZPO) und insbesondere die Vollstreckungs-/Räumungsschutzverfahren (§ 765a ZPO) mit einem ganz erheblichen Ermittlungs- und Prüfungsaufwand verbunden sind (vgl. u.a. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Mai 2024 - 2 BvR 26/24). Zwar würde der Rechtspfleger von den zahlenmäßig bedeutsamen, aber rechtlich einfachen „Masseverfahren“ entlastet, aber gerade die Verfahren, die komplex und zeitintensiv sind, verblieben in der Zuständigkeit des Vollstreckungsgerichts. Hinzukommen die oben beschriebenen Zuständigkeitsfragen und Erreichbarkeitsprobleme, die ebenfalls Ressourcen binden werden. Zugleich wird voraussichtlich der Zeitaufwand für die nach §§ 72, 79 GVO vorzunehmenden Geschäftsprüfungen bei den Gerichtsvollziehern, welche überwiegend durch Rechtspfleger erfolgen, steigen.
Ein signifikantes Einsparungspotential im Rechtspflegerbereich dürfte somit tatsächlich nicht gegeben sein und steht einem erheblich erhöhten Aufwand im Gerichtsvollzieherbereich gegenüber.
Überdies dürfte zu erwarten sein, dass mit der beabsichtigten Aufgabenübertragung auf den Gerichtsvollzieher und der damit verbundenen Erweiterung der Ausbildungsinhalte eine gänzlich neue Konzeption und Verlängerung der Gerichtsvollzieherausbildung erforderlich werden würde und als Folge (zu Recht) Stellenhebungen im Gerichtsvollzieherbereich anstünden. Tatsächliche Lohnkosteneinsparungen dürften somit mittel- bis langfristig deutlich hinter den Erwartungen zurückbleiben.
d) Fazit Zuständigkeitsregelung der zivilrechtlichen Mobiliarvollstreckung: Statt des Entwurfes in seiner vorliegenden Form befürworten wir auf der Basis der im Entwurf angeführte dritten Alternative, die Übertragung der Forderungspfändung auf den Gerichtsvollzieher im Bereich der Bausteine E-J des aktuellen Pfändungsbeschlussvordrucks, ohne Folgeanträge (z. B. §§ 850c VI, 850e Nr. 2, 850f I, 850g ZPO) und ohne die Entscheidung über die privilegierte Pfändung, die in der Zuständigkeit des Vollstreckungsgerichts verbleiben sollen. Ebenfalls begrüßt wird die Einführung der Abhilfebefugnis des Gerichtsvollziehers (§ 766 Abs. 3 ZPO-E). Vor dem Hintergrund möglicher Effizienzgewinne regen wir an, die im Rahmen der Sachpfändung bestehenden Zuständigkeiten des Vollstreckungsgerichts den Gerichtsvollziehern zu übertragen (z. B. §§ 811 Abs. 3 und 8711a ZPO) und dem Rechtspfleger die Entscheidung über die Erinnerung gem. § 766 ZPO sowie das gesamte Verbraucherinsolvenzverfahren incl. der Entscheidung über die Eröffnung und über die Restschuldbefreiung zu übertragen.
2. Zuständigkeitserweiterungen in Nachlass- und Teilungssachen
Die beabsichtigte bundesweite Vereinheitlichung der funktionellen Zuständigkeiten in Nachlass- und Teilungssachen wird grundsätzlich begrüßt.
Auf den ersten Blick scheinen sich für unser Verbandsgebiet Niedersachsen zunächst keine Änderungen zu ergeben, da Niedersachsen eines der Länder ist, das von der Öffnungsklausel (§ 19 RPflG) bereits Gebrauch gemacht hat.
Auf den zweiten Blick soll mit der vorgesehenen Neufassung allerdings auch die Aufhebungsmöglichkeit nach § 19 I Nr. 5 RPflG gestrichen werden. Von der dadurch eröffneten Möglichkeit, auch die Nachlassangelegenheiten mit Auslandsbezug zu übertragen, haben neben Niedersachsen u.a. auch Bremen und Hamburg Gebrauch gemacht.
Da sich die bisherige Landesregelung aus unserer Sicht bewährt hat, plädieren wir dafür, entweder die Regelung des bisherigen § 19 Abs. 1 Nr. 5 RPflG beizubehalten oder den entsprechenden Richtervorbehalt in § 16 Abs. 1 Nr. 6 u. 7 RPflG-E bundeseinheitlich zu streichen.
Nachlassangelegenheiten, in denen tatsächlich ausländisches Erbrecht anzuwenden ist oder die IPR-Prüfung komplexer wird, dürften trotz Aufhebung des Richtervorbehalts über § 5 Abs. 2 RPflG weiterhin beim Richter anzusiedeln sein. Daher spricht aus unserer Sicht nichts gegen die bundesweite Übertragung der niedersächsischen Regelung.
Freundliche Grüße
Feldmann-Bruns Schulz Paix
Hannover, 15. November 2024
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