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Rechtspflegertag am 15.11.2024
Weitere Informationen folgen in Kürze (RI).
Der Verband begrüßt Gesetzentwurf
Referentenentwurf des BMJ eines Gesetzes zur Zuständigkeitskonzentration der zivilrechtlichen Mobiliarvollstreckung bei den Gerichtsvollziehern und zu Zuständigkeitserweiterungen für die Rechtspfleger in Nachlass- und Teilungssachen
Sehr geehrte Damen und Herren,
für die Möglichkeit zur Stellungnahme danken wir herzlich.
1. Zuständigkeitsregelung der zivilrechtlichen Mobiliarvollstreckung
Die beabsichtigte Zuständigkeitsneuregelung der zivilrechtlichen Mobiliarvollstreckung und die Übertragung von Teilen der Forderungsvollstreckung auf den Gerichtsvollzieher im Sinne einer Effizienzsteigerung und Ressourceneinsparung wird seitens des Verbandes des Rechtspfleger e.V. grundsätzlich begrüßt.
Allerdings ist der im Entwurf angeführten dritten Alternative aus unserer Sicht der Vorzug zu gewähren. Gegen die nahezu vollständige Übertragung der Forderungspfändung auf den Gerichtsvollzieher bestehen insbesondere hinsichtlich der tatsächlichen Effizienzsteigerung und Ressourceneinsparung folgende Bedenken:
a) Zuständigkeitskonzentration?
Die Mobiliarvollstreckung würde trotz der beabsichtigten Übertragung großer Teile der Forderungspfändung auf den Gerichtsvollzieher sachlich und funktional zersplittert sein, da sich nach den Bestimmungen des § 828 Abs. 1 ZPO-E die Zuständigkeit des Gerichtsvollziehers im Bereich der Forderungspfändung auf die Zwangsvollstreckung in Geldforderungen beschränken soll, während die Zuständigkeit für die Pfändung von Herausgabeansprüchen und andere Vermögensrechten bei dem Vollstreckungsgericht verbleiben soll (§§ 847 Abs. 1 und 857 Abs. 1 ZPO-E).
Häufig erwachsen einem Schuldner aus der Rechtsbeziehung zu einem Dritten verschiedene pfändbare Ansprüche, die sich nicht allein auf Geldforderungen beschränken, z.B. bei der Pfändung von Ansprüchen aus der Geschäftsbeziehung zu einem Kreditinstitut, die auch die Pfändung angeblicher Anspruches auf Herausgabe der in den Depots und Unterdepots des Schuldners verwahrten Wertpapiere aus Sonder- und Drittverwahrung oder die Pfändung des Anspruchs auf Zutritt zum Schließfach umfassen kann. Auch bei der Pfändung von Gesellschaftsanteilen wären Pfändungen künftig parallel beim Vollstreckungsgericht und beim Gerichtsvollzieher zu betreiben, da sich aus der Beteiligung regelmäßig konkrete Zahlungsansprüche ergeben können. Gleiches würde für die Pfändung einer hypothekengesicherten Forderung gelten, bei der regelmäßig zugleich die Pfändung einer Eigentümergrundschuld ausgesprochen wird.
Weitere Problemen der angedachten Zuständigkeitszersplitterung würden bei der Mitpfändung von Gestaltungs- und sonstigen Nebenansprüche entstehen. Künftig wäre genau zu differenzieren, ob es sich hierbei um unselbständige Nebenansprüche zum Zahlungsanspruch, die von der Pfändung des Zahlungsanspruches mitumfasst sind, oder aber um einen selbständigen Gestaltungs- und Nebenanspruch handelt. Die Pfändung eines selbständigen Gestaltungs- und Nebenanspruches dürfte mit Blick auf die Bestimmungen des § 828 Abs. 1 ZPO-E nicht in der Zuständigkeit des Gerichtsvollziehers liegen.
Nicht hinreichend geregelt erscheint ferner, wie bei auszulegenden und ggfs. konkurrierenden Folgeanträgen, bzw. Rechtsbehelfen oder Vollstreckungsschutzanträgen hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit zu verfahren ist. Entsprechende Anträge werden von den im Regelfall juristisch ungebildeten, rechtssuchenden Schuldnern gestellt. Das Vollstreckungsorgan hat in diesen Fällen häufig aufzuklären und das Anliegen oftmals zunächst im Wege der Auslegung rechtlich einzuordnen. Hierbei stellt sich nicht selten die Frage, ob Pfändungsschutz nach § 850f Abs. 1 ZPO, § 850i ZPO oder aber nach § 765a ZPO begehrt wird, oder das Anliegen als Erinnerung gem. § 766 ZPO zu werten ist. Da die Entscheidung über die Bewilligung von Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO weiterhin in der alleinigen Zuständigkeit der Vollstreckungsgerichte verbleiben soll, könnte es künftig dazu kommen, dass der Gerichtsvollzieher einen ihm zugegangenen unklar formulierten Pfändungsschutzantrag als einen solchen nach § 765a ZPO auslegt und den Antrag zuständigkeitshalber an das Vollstreckungsgericht verweist, während das Vollstreckungsgericht einen Pfändungsschutzantrag nach einer Vorschrift erblickt, dessen Entscheidung in die Zuständigkeit des Gerichtsvollziehers fiele.
b) Effizienzsteigerung?
Zu bedenken ist, dass die beabsichtigte Aufgabenübertragung eine tägliche Erreichbarkeit der Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher erfordert, um eilige Anträge (z. B. im Rahmen der Kontopfändung) aufnehmen und bearbeiten zu können. Dies dürfte mit den weiteren Tätigkeiten der Gerichtsvollzieher und ohne die Rückgriffmöglichkeit auf die Rechtsantragstellen schwer vereinbar und den rechtssuchenden Bürgerinnen und Bürgern kaum zuzumuten sein. Schuldnern würde kurzfristiger effektiver Rechtsschutz z.B. im Hinblick auf Folgeanträge aus dem Bereich des Pfändungsschutzes für Kontoguthaben möglicherweise aufgrund der eingeschränkten zeitlichen und örtlichen Erreichbarkeit „ihres“ zuständigen Gerichtsvollziehers verwehrt bleiben. Es erscheint kaum zielführend und einem effektiven Rechtsschutz zuwiderlaufend, dass der Gerichtsvollzieher Anträge entweder nur zu seinen individuellen Sprechzeiten aufnimmt oder Rechtssuchende zur Protokollierung ihres Anliegens an das Amtsgericht verweist, der ggfs. eilig zu entscheidende Antrag dann wiederum dem Gerichtsvollzieher zuzuleiten wäre. Ganz erhebliche Schwierigkeiten ergeben sich für den rechtssuchenden Schuldner insbesondere, wenn sich die Geschäftsverteilung der Gerichtsvollzieher innerhalb eines Gerichtsbezirks ändert oder „ihr“ Gerichtsvollzieher z.B. krankheitsbedingt nicht erreichbar ist.
Auch die Fachanwendungen der Gerichte und des Gerichtsvollziehers müssten aufeinander abgestimmt sein, um eine effiziente und durchlässige Bearbeitung aufgrund der dann ggfs. bestehenden Schnittstellen, s.o., zu gewährleisten. Auch in Anbetracht der geplanten Übergangszeit mit der Möglichkeit der Verlängerung über die Ausnutzung einer Öffnungsklausel bestehen aus Effizienzgründen Bedenken. Großgläubiger und Inkassobüros agieren bundesweit und auch Schuldner verlagern ihre Wohnsitze über Ländergrenzen hinweg, sodass zu befürchten ist, dass alle Vollstreckungsorgane mit Mehrarbeit durch Hinweisverfügungen und der Klärung von Zuständigkeitsfragen belastet werden. Ein bundesweit einheitliches Inkrafttreten ist aus Gründen der Rechtssicherheit erforderlich.
c) Ressourceneinsparung?
Hinsichtlich der Übertragung auch der Folgeanträge sowie der Anträge zur privilegierten Forderungspfändung gem. §§ 850d, 850f II ZPO auf den Gerichtsvollzieher bestehen Bedenken, weil diese Entscheidungen und auch jene über Zusatz- und Folgeanträge rechtlich anspruchsvoll sein können und umfassende Kenntnisse auch aus anderen Rechtsgebieten voraussetzen. Hierunter fallen insbesondere die privilegierte Vollstreckung (§§ 850d, 850f II ZPO) sowie die Nichtberücksichtigung von Unterhaltsberechtigten (§ 850c VI ZPO, auch im Rahmen privilegierter Vollstreckung). Exemplarisch zeigt die jüngere höchstrichterliche Rechtsprechung zur Unterhaltsvollstreckung (z.B. BGH 15.3.2023 – VII ZB 68/21 u. BGH 12.6.2024 – VII ZB 24/23) die Berührungspunkte mit Familien- und Unterhaltsrecht sowie ein stetiges Aktualisierungsbedürfnis (über Folgeanträge) für die Dauer der Vollstreckung. Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger werden in ihrer Ausbildung mit diesem breiten Fachwissen ausgestattet. Bliebe das Vollstreckungsgericht in Gestalt des Rechtspflegers allein noch für einzelne Pfändungsanträge zuständig, würde das Mobiliarvollstreckungsrecht in der Praxis der Rechtspfleger zum Randsachgebiet verkümmern. Auf die Expertise des Rechtspflegers als ausgewiesenem Fachjuristen für den gesamten Bereich des Vollstreckungsrechts würde für den Bereich der Forderungspfändung weitgehend verzichtet werden. Ressourcen würden in fachlicher Hinsicht daher eher verschwendet, als eingespart werden. Denn das Fachwissen müssen die Rechtspfleger nicht nur aufgrund der verbliebenen Zuständigkeiten im Bereich der Forderungspfändung, sondern auch für das Verteilungsverfahren (§§ 853, 872ff. ZPO) oder für Vollstreckungsschutzanträge (§ 765a ZPO), aber auch für andere Rechtspflegeraufgaben weiterhin erwerben und anwenden können. So sind diese Kenntnisse auch für Rechtspfleger im Grundbuchamt (§§ 830, 857 VI ZPO), im Insolvenzgericht (§§ 36, 89 InsO), in der Zwangsversteigerungsabteilung (§§ 20, 21 ZVG) und insbesondere bei den Staatsanwaltschaften in der Vermögensabschöpfung unverzichtbar.
Wie im Gesetzesentwurf zutreffend ausgeführt, würde sich die Zuständigkeitsverschiebung nicht nennenswert auf das Studium der Rechtspflege auswirken. Ressourcen würden hier allenfalls marginal eingespart werden können, hätten aber gegebenenfalls negative Auswirkungen auf das Fachwissen der Rechtspfleger, das für andere Tätigkeitsbereiche von Nöten ist und welches daher an anderer Stelle kompensiert werden müsste.
Der allenfalls geringfügigen Ressourceneinsparung in der Ausbildung der Rechtspfleger stünde ein unverhältnismäßig hoher Aus- und Fortbildungsaufwand der künftigen und jetzigen Gerichtsvollzieher gegenüber, der nicht mit der geplanten Stundenzahl zu erreichen sein wird.
Auch in der Praxis dürfte das Einsparungspotential tatsächlich geringer ausfallen als erwartet, da die dem Vollstreckungsgericht obliegenden Verfahren, z.B. die Pfändung von weiteren Vermögensrechten (§ 857 ZPO) und insbesondere die Vollstreckungs-/Räumungsschutzverfahren (§ 765a ZPO) mit einem ganz erheblichen Ermittlungs- und Prüfungsaufwand verbunden sind (vgl. u.a. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Mai 2024 - 2 BvR 26/24). Zwar würde der Rechtspfleger von den zahlenmäßig bedeutsamen, aber rechtlich einfachen „Masseverfahren“ entlastet, aber gerade die Verfahren, die komplex und zeitintensiv sind, verblieben in der Zuständigkeit des Vollstreckungsgerichts. Hinzukommen die oben beschriebenen Zuständigkeitsfragen und Erreichbarkeitsprobleme, die ebenfalls Ressourcen binden werden. Zugleich wird voraussichtlich der Zeitaufwand für die nach §§ 72, 79 GVO vorzunehmenden Geschäftsprüfungen bei den Gerichtsvollziehern, welche überwiegend durch Rechtspfleger erfolgen, steigen.
Ein signifikantes Einsparungspotential im Rechtspflegerbereich dürfte somit tatsächlich nicht gegeben sein und steht einem erheblich erhöhten Aufwand im Gerichtsvollzieherbereich gegenüber.
Überdies dürfte zu erwarten sein, dass mit der beabsichtigten Aufgabenübertragung auf den Gerichtsvollzieher und der damit verbundenen Erweiterung der Ausbildungsinhalte eine gänzlich neue Konzeption und Verlängerung der Gerichtsvollzieherausbildung erforderlich werden würde und als Folge (zu Recht) Stellenhebungen im Gerichtsvollzieherbereich anstünden. Tatsächliche Lohnkosteneinsparungen dürften somit mittel- bis langfristig deutlich hinter den Erwartungen zurückbleiben.
d) Fazit Zuständigkeitsregelung der zivilrechtlichen Mobiliarvollstreckung: Statt des Entwurfes in seiner vorliegenden Form befürworten wir auf der Basis der im Entwurf angeführte dritten Alternative, die Übertragung der Forderungspfändung auf den Gerichtsvollzieher im Bereich der Bausteine E-J des aktuellen Pfändungsbeschlussvordrucks, ohne Folgeanträge (z. B. §§ 850c VI, 850e Nr. 2, 850f I, 850g ZPO) und ohne die Entscheidung über die privilegierte Pfändung, die in der Zuständigkeit des Vollstreckungsgerichts verbleiben sollen. Ebenfalls begrüßt wird die Einführung der Abhilfebefugnis des Gerichtsvollziehers (§ 766 Abs. 3 ZPO-E). Vor dem Hintergrund möglicher Effizienzgewinne regen wir an, die im Rahmen der Sachpfändung bestehenden Zuständigkeiten des Vollstreckungsgerichts den Gerichtsvollziehern zu übertragen (z. B. §§ 811 Abs. 3 und 8711a ZPO) und dem Rechtspfleger die Entscheidung über die Erinnerung gem. § 766 ZPO sowie das gesamte Verbraucherinsolvenzverfahren incl. der Entscheidung über die Eröffnung und über die Restschuldbefreiung zu übertragen.
2. Zuständigkeitserweiterungen in Nachlass- und Teilungssachen
Die beabsichtigte bundesweite Vereinheitlichung der funktionellen Zuständigkeiten in Nachlass- und Teilungssachen wird grundsätzlich begrüßt.
Auf den ersten Blick scheinen sich für unser Verbandsgebiet Niedersachsen zunächst keine Änderungen zu ergeben, da Niedersachsen eines der Länder ist, das von der Öffnungsklausel (§ 19 RPflG) bereits Gebrauch gemacht hat.
Auf den zweiten Blick soll mit der vorgesehenen Neufassung allerdings auch die Aufhebungsmöglichkeit nach § 19 I Nr. 5 RPflG gestrichen werden. Von der dadurch eröffneten Möglichkeit, auch die Nachlassangelegenheiten mit Auslandsbezug zu übertragen, haben neben Niedersachsen u.a. auch Bremen und Hamburg Gebrauch gemacht.
Da sich die bisherige Landesregelung aus unserer Sicht bewährt hat, plädieren wir dafür, entweder die Regelung des bisherigen § 19 Abs. 1 Nr. 5 RPflG beizubehalten oder den entsprechenden Richtervorbehalt in § 16 Abs. 1 Nr. 6 u. 7 RPflG-E bundeseinheitlich zu streichen.
Nachlassangelegenheiten, in denen tatsächlich ausländisches Erbrecht anzuwenden ist oder die IPR-Prüfung komplexer wird, dürften trotz Aufhebung des Richtervorbehalts über § 5 Abs. 2 RPflG weiterhin beim Richter anzusiedeln sein. Daher spricht aus unserer Sicht nichts gegen die bundesweite Übertragung der niedersächsischen Regelung.
Freundliche Grüße
Feldmann-Bruns Schulz Paix
Hannover, 15. November 2024
Die Stellungnahme können Sie hier herunrunterladen.
Wie viel KI verträgt die Justiz?
Dieses Thema diskutierten unter der gewohnt spritzigen Moderation von Dr. Christian Strasser die Vorsitzende des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, Frau Dr. Winkelmeier-Becker, MdB, die Präsidentin des Oberlandesgerichts Celle, Frau Stefanie Otte, die Co-Leiterin des Think Tank Legal Tech und KI bei dem OLG Köln, Frau Richterin am Amtsgericht Isabelle Biallaß, Herr Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. Peter Enders, der Journalist Niels Boeing und aus dem Vorstand des VdR Jens-Niklas Krause.
In der Diskussion wurde deutlich, dass vieles unter der Überschrift „Künstliche Intelligenz“ diskutiert wird, was eigentlich die Digitalisierung der Justiz betrifft. Der Versuch, beides zu vermengen, verstellt den klaren Blick auf die Unterschiede: gute Gründe für und gute Erfahrungen mit Digitalisierung rechtfertigen nicht automatisch auch den Einsatz von KI. Zwar teilen beide die Automation von Arbeitsabläufen. Aber bei der Digitalisierung behält der Mensch die Kontrolle über die Entscheidungen. Es gilt also sorgsam abzuwägen, wo Künstliche Intelligenz tatsächlich einen Mehrwert für Rechtsuchende sowie Rechtsanwenderinnen und –anwender bietet. Und wo die Vorteile eher auf Seiten der IT-Industrie lägen, die ein massives Interesse hat, mit den Daten der Justiz Gewinne zu erzielen und die deshalb gerne KI „draufschreibt“, wo tatsächlich nur lineare Algorithmen drin sind. Weil sich das nun einmal besser verkauft. Könnte einem egal sein, wenn nicht am Ende des Tages der Finanzminister die Reformdividende kassieren und dazu Stellen streichen würde. Und wir alle wissen, dass sich diese Einsparungen nach den Kosten richten, und nicht danach, wie viel Arbeit tatsächlich durch Automation wegrationalisiert wurde. Sicher: uns Rechtspflegerinnen und Rechtspflegern droht nicht so sehr die Arbeitslosigkeit, aber die nächste Leistungsverdichtung, die die Rechtspflege kaputtspart und noch mehr Kolleginnen und Kollegen in die Flucht schlägt.
Auf der anderen Seite bietet Künstliche Intelligenz natürlich auch für die Rechtspflege echte Chancen. Ob es die Beratungshilfesachen sind, die Kostenfestsetzung, die Forderungspfändung oder die Prüfung von Rechnungslegungen in Betreuungssachen: es gibt sicher Geschäfte, die sich durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz automatisieren ließen, ohne den Rechtsstaat zu gefährden.
Aber auch für Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger besteht Anlass, die Entwicklungen kritisch zu begleiten. So wird in der Justizpolitik die Arbeit des Rechtspflegers z.B. in den öffentlichen Registern nicht selten für repetitiv und stark formalisiert gehalten und übersehen, dass beispielsweise die Grundbuchberichtigung komplexe materiell-rechtliche Prüfungen erfordert. Dieser unterkomplexen Sicht auf die öffentlichen Register muss vehement widersprochen werden, denn sie nährt bereits die Vorstellung, man könne mittels Künstlicher Intelligenz die öffentlichen Register (teil-)automatisieren. Und auch im Bereich der Antragsaufnahme existieren ähnlich unterkomplexe Vorstellungen von der Arbeit des Rechtspflegers. Jeder, der schon einmal einen Erbscheinsantrag aufgenommen hat, weiß, dass es nicht selten mehrerer Gesprächsschleifen bedarf, um die Existenz lange verdrängter nichtehelicher Kinder zutage zu fördern. Das ist im KI-geführten Menü schnell weggeklickt und produziert im Nachhinein nicht nur Mehrarbeit, sondern unrichtige Erbscheine.
Alles in allem herrschte auf dem Podium in den grundsätzlichen Fragen Einigkeit: auch die rechtspflegerische Entscheidung muss Menschen vorbehalten bleiben und Entscheidungsvorschläge müssen nachvollziehbar sein. Rechtsuchende dürfen nicht auf digitale Zugänge zur Justiz verwiesen werden.
Das soll aber nicht bedeuten, dass man sich entspannt zurücklehnen dürfte. Denn die Frage, was Nachvollziehbarkeit KI-generierter Entscheidungsvorschläge konkret bedeutet, ist entweder das schnelle Aus für KI in der Justiz oder ein weites Feld hoffentlich fruchtbarer Kontroversen: die Auskunft, welcher Parameter mit welcher Wahrscheinlichkeit den Entscheidungsvorschlag beeinflusst hat, erlaubt jedenfalls keine Entscheidung, wie viel der Vorschlag mit dem Normprogramm zu tun hat. Spannend dürften auch die datenschutz- und urheberrechtlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Einsatz von KI sein. Das Training von KI im justiziellen Kontext erfordert beispielsweise neben den Entscheidungen auch die – urheberrechtlich geschützten – Schriftsätze. Und auch die Verfahrensbeteiligten dürften kaum qualifiziert eingewilligt haben, ihre Daten zum Training kommerzieller KI zu verarbeiten. Fraglich ist, ob automatisierte Pseudonymisierung da wirklich helfen kann, wenn auch dafür KI zum Einsatz kommen soll und sich damit die Katze in den Schwanz beißt.
Alles Diskussionen aus dem Elfenbeinturm, über die die Zeit längst hinweggegangen ist? Weil Anwälte längst mittels KI massenhaft Schriftsätze generieren und es nur noch darum geht, in dieser Flut nicht unterzugehen? Das mag für die zivilrichterliche Sicht gelten und die Frage aufwerfen, ob man tatsächlich zu den gleichen „Waffen“ greifen muss. Vielleicht wäre eher zu fragen, ob die Zulassung KI-generierter Schriftsätze wirklich dem Rechtsstaat dient – oder nur dem Partikularinteresse einzelner Unternehmen. Für die Rechtspflege jedenfalls in der freiwilligen Gerichtsbarkeit verfängt dieser Einwand nicht. Fürsorgende Rechtspflege wird auch in Zukunft den Menschen in den Mittelpunkt stellen müssen, wenn sie wirksam Konflikte vermeiden helfen soll. Hier den Einsatz von KI zu fordern, heißt Justizpolitik nach Kassenlage, das Wort zu reden – und Rechtsstreit zu provozieren.
Diese Gedanken führten den Rechtspflegertag 2023 zu folgender Beschlussfassung:
„Der Rechtspflegertag steht dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz grundsätzlich offen gegenüber. Denkbare Einsatzgebiete wären die Kostenfestsetzung oder die Forderungspfändung sowie Tools, die für Rechtsuchende Informationen über die Verfahrensabläufe und –voraussetzungen aufbereiten, Orientierungshilfe bieten und Terminabsprachen erleichtern.“
Den Einsatz künstlicher Intelligenz in den öffentlichen Registern sieht der Rechtspflegertag äußerst kritisch. Hier werden die komplexen rechtlichen Fragestellungen übersehen, die die Grundbuch- und Handelsregisterverfahren prägen und die keinen tauglichen Gegenstand für Künstliche Intelligenz darstellen.
Der Einsatz Künstlicher Intelligenz im Sinne selbstlernender Algorithmen darf aber auch in den unkritischen Bereichen nur dann erfolgen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
- Die Künstliche Intelligenz ist Open Source.
- Die Künstliche Intelligenz wird proprietär auf Computern der Justiz betrieben. Die Daten der Beteiligten werden nicht an Dritte überlassen.
- Entscheidungsvorschläge der Künstlichen Intelligenz müssen jederzeit für die Anwendenden wie für die Beteiligten nachvollziehbar sein.
- Es muss durch geeignete Vorkehrungen sichergestellt werden, dass die Voraussetzungen, die eine KI bei ihrem Vorschlag geprüft hat, durch den Rechtspfleger auch tatsächlich im Einzelfall nachvollzogen werden.
Die Realität von Künstlicher Intelligenz in der Justiz
Frau Vorsitzende,
meine sehr verehrten Damen und Herren, woran denken Sie, wenn Sie an KI denken?
Glaubt man Allensbach, dachten die meisten Deutschen 2019 an R2D2. Das ist leider mehr als ein fun fact. Der Begriff der Künstlichen Intelligenz provoziert die Vorstellung, die Maschine sei in der Lage, es uns gleich zu tun. Nur besser. Ohne Emotionen und Absichten. Aber gerade deshalb objektiver als wir.
Das trifft nicht zu.
Sagt Ihnen Dr. Rupert Scholz etwas? Das war der, der einen erheblichen Beitrag zur Übersetzung des BGB in maschinenlesbaren Code hatte. Und damit die Grundlage für die Entwicklung von Smart Contracts schuf. Sagt: ChatGPT. Frei erfunden.
Echte KI ist eben nicht intelligent, sie hat kein Verständnis von der Welt, sie weiß nicht, was sie sagt. Es klingt nur so. Tatsächlich wird Intelligenz simuliert. Dabei treten letztlich Wahrscheinlichkeiten und Vermutungen an die Stelle von gesichertem Wissen. Und wenn es passt, erfindet KI Fakten, sie halluziniert. Leider so eloquent, dass es nur auffällt, wenn man die richtige Antwort kennt.
Was würde wohl passieren, wenn man einen solchen Chatbot auf Rechtsuchende losließe? Oder eloquente aber kontrafaktische Entscheidungen entwerfen?
Sicher: der Einsatz von KI hat das Potenzial, gerichtliche Verfahren schneller zumachen. Aber um welchen Preis?
Was kostet es die Gesellschaft, wenn Justiz Faktizität und Kausalität durch Wahrscheinlichkeit und Korrelation ersetzt? Wenn sich Justiz in toto von privaten KI-Anbietern abhängig macht, um die Flucht einiger Rechtsuchender zu privaten Rechtsdienstleistern zu verhindern? Wenn private KI-Hersteller intime Einblicke in die internen Entscheidungsprozesse der Justiz erhalten, weil Richter, Staatsanwälte und Rechtspfleger munter annotieren – im KI-Jargon: „labeln“?
Und kann eine KI, die wir selbst nicht verstehen, die Justiz wirklich transparenter machen? Was wird aus einer Justiz, die ihre Entscheidungen nicht mehr begründen muss, weil eine KI zu jeder Entscheidung die passende Begründung liefert?
Und wird das vermeintliche Plus an Rechtsgleichheit, das sich manche von KI versprechen, nicht am Ende damit erkauft, dass der Einzelfall zu einer mathematischen Größe simplifiziert wird?
Natürlich ist die Welt wie immer weder schwarz noch weiß. Metadatenerfassung, Aktenverwaltung, Stichwortsuche, Sachverhaltsgliederung und –vergleich nach manuell definierten Kriterien, Gerichtskosten und Kostenfestsetzung sind sicher unkritische Einsatzgebiete. Und die Auswertung großer Datenmengen in Ermittlungsverfahren ist offensichtlich ohne Alternative.
Aber die aktuelle Diskussion scheint weit darüber hinaus zu zielen und deshalb muss nach der Grenze gefragt werden. Konkret: Soll der KI-generierte Vorschlag einer gerichtlichen Entscheidung diesseits oder jenseits dieser Grenze liegen?
Wie wollen wir damit umgehen, dass niemand aktuell beurteilen kann, wie ein KI-generierter Entscheidungsvorschlag zustande gekommen ist?
Ein Beispiel: Eine KI der UNI Stanford wurde trainiert, Hautkrebs zu erkennen. Dazu wurden ihr mehrere 100.000 Bilder gezeigt, die Dermatologen eingereicht hatten. Nach dem Training war die KI sehr gut in der Lage, Hautkrebs zu erkennen, machte aber in manchen Fällen verblüffende Fehler. Nach Jahren der Fehlersuche stand fest: die KI konnte gar keinen Hautkrebs erkennen, sondern nur Lineale, die manche Dermatologen zur Größenbestimmung neben die fotografierte Hautpartie gelegt hatten. Für die KI war klar: es gibt eine hinreichende Korrelation zwischen dem Vorhandensein eines Lineals und der Diagnose Hautkrebs.
Auf die Justiz übertragen: wie wollen wir garantieren, dass eine KI bei ihrem Vorschlag auf das Normprogramm abstellt – und nicht z.B. darauf, in welchen Gegenden die Parteien wohnen? Was, wenn eine KI feststellte, dass Beteiligte aus besonders guten Wohngegenden mit ihren Anträgen bei Gericht signifikant häufiger erfolgreich sind? Und bei ihrem Vorschlag auf diese Korrelation zwischen Adresse und Erfolg abstellt?
Dieses frei erfundene Beispiel soll zeigen: es könnte sehr schwer sein, diskriminierungsfreie Trainingsdaten zu erlangen. Und sehr schwer, als Entscheider diskriminierende Muster zu erkennen.
Wie wollen wir ferner damit umgehen, dass Menschen dazu neigen, maschinellen Vorschlägen zu folgen, weil sie deren Objektivität und Korrektheit überschätzen? Dieser sogenannte automation bias ist auch für die juristische Arbeit belegt.
Wie wollen wir dem begegnen? In einer seit Jahrzehnten chronisch unterfinanzierten Justiz? Wer wird es sich überhaupt noch leisten können, die Entscheidungsvorschläge im Detail zu prüfen, wenn über Kurz oder Lang der Effizienzgewinn durch KI in der Personalbedarfsberechnung Pebb§y eingepreist und die Zeit pro Fall halbiert sein wird? Was bleibt von der erhofften Entlastungswirkung durch KI, wenn zur Gegenfinanzierung Stellen gestrichen werden? Und wie wahrscheinlich ist die Annahme, dass der Finanzminister darauf verzichten wird?
Und ganz nebenbei: welche Rechtsmeinung soll KI mit ihren Vorschlägen denn bitte in Stein meißeln? Die gerade herrschende? Die gerade eigene? Gerade die zeitliche Dimension von Recht macht deutlich, dass wir vielleicht doch an R2D2 denken, wenn wir an KI denken.
Diese Zuspitzungen beziehen sich natürlich vor allem auf KI im engeren Sinne, also auf selbstlernende Algorithmen. Für regelbasierte Algorithmen, die bereits vielfach im Einsatz sind, gilt all das nur sehr eingeschränkt.
Es macht einen Unterschied, ob Justiz Software benutzt, in der das Normprogramm festgeschrieben ist, oder KI, bei der sich die Algorithmen permanent und durch den Nutzer nicht nachvollziehbar verändern. In der Sichtbarmachung dieser Unterscheidung liegt eine Herausforderung. In hinreichend komplexen Systemen ist es unmöglich ist, das vorhandene Wissen regelhaft zu repräsentieren. Allein mit regelbasierten Algorithmen wird man in der Justiz also nicht sehr weit kommen. Könnte es sein, dass sich unsere Hoffnungen nur mit „echter“ KI und nur um den Preis der Abhängigkeit von Privaten erfüllen lassen, während wir uns mit harmlosen Beispielen regelbasierter Algorithmen beschwichtigen, indem wir einfach alles KI nennen?
Woran denken Sie, wenn Sie an KI denken? An R2D2? Ich bin gespannt auf die vor uns liegende Diskussion und freue mich, das Wort an Herrn Dr. Christian Strasser übergeben zu dürfen, der das Panel vorstellen und uns durch die nächsten 90 Minuten führen wird. Ich danke für die Aufmerksamkeit. Herr Dr. Strasser: Sie haben das Wort. Möge die Macht mit Ihnen sein!
Quo vadis Rechtspflege?
Wie steht es um die Rechtspflege in Niedersachsen? Nicht gut. Die Anzahl der Bewerberinnen und Bewerber ist im freien Fall, der Anteil nicht bestandener Rechtspflegerprüfungen geht durch die Decke und Pebb§y bildet nicht mehr ansatzweise ab, was vor Ort tatsächlich an Arbeit zu leisten ist. Mangelverwaltung wie zuletzt in den 90er-Jahren trifft auf eine Digitalisierung der Justiz, die eher revolutionär als evolutionär von statten geht. Da wundert es kaum, dass immer mehr Kolleginnen und Kollegen nach wenigen Jahren der Rechtspflege den Rücken kehren oder in den vorzeitigen Ruhestand flüchten, wenn sie können. Allein: Diesem Braindrain der Rechtspflege dürfen wir nicht tatenlos zusehen. Nicht nur, weil die, die nicht weggehen können oder wollen, sonst bald untergehen, sondern auch, weil eine offene Bürgergesellschaft auf eine hochwertige Rechtspflege angewiesen ist. Heute mehr denn je.
Der Rechtspflegertag hat sich daher in zwei Arbeitskreisen mit der Frage beschäftigt, welche Wege aus dieser Misere hinausführen: der AK I mit Optionen zur Nachwuchsgewinnung und –sicherung sowie der AK II mit den Anforderungen an ein attraktives Rechtspflegerdienstrecht. Dabei ist deutlich geworden: Wenn wir wollen, dass Berufsanfängerinnen und –anfänger bei uns bleiben, müssen wir uns bewegen. Und wenn wir wollen, dass guter Nachwuchs sich bei uns bewirbt, müssen wir bei den Punkten Besoldung, Arbeitszeit und Geschäftsverteilung attraktiver werden.
Was können wir als Justiz selbst tun? Der Arbeitskreis I hat hierzu zahlreiche Vorschläge entwickelt, von denen hier beispielhaft genannt werden sollen:
1. Ein verpflichtendes „Anfängerdezernat“ mit wenigen (einem oder zwei) Sachgebieten und reduziertem Pensum
2. Die Konzentration auf essentielle Anfängerfortbildungen unter Streichung der unnötigen
3. Die Abschaffung der Pflichtrotation
4. Einen modernen Führungsstil auf „Augenhöhe"
Es kann nicht sein, dass wir Berufsanfängerinnen und Berufsanfängern die Dezernate geben, die sonst niemand will. Es kann nicht sein, dass wir ihnen vom ersten Tag an ein volles Dezernat abfordern, „weil wir da auch durch mussten“. Und es kann auch nicht sein, dass wir ihnen mit Fortbildungen die Zeit stehlen, indem wir Teambildung & Konfliktbewältigung in eine Zeit legen, in der alle darum kämpfen, nicht unterzugehen. Von der Merkwürdigkeit, dass wir nur die Neuen in Teambildung schulen, mal ganz zu schweigen. Um es ganz deutlich zu sagen: Wer heute noch „aus Prinzip“ Berufsanfängerinnen oder Berufsanfänger durch den Bezirk rotieren lässt, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt.
Erfreulicherweise gibt es Gerichte und Staatsanwaltschaften, die das bereits leben. Andere haben noch Luft nach oben. Höchste Zeit, dass wir uns ehrlich machen und vor Ort tun, was für einen guten Start ins Berufsleben getan werden kann. Höchste Zeit, dass auch höhere Vorgesetze sichtbar machen, was wo gut läuft – und was wo nicht. Sonst verlieren wir die Abstimmung mit den Füßen.
Dem ist der Rechtspflegertag 2023 einstimmig gefolgt – bei einer altersmäßig ausgewogenen Zusammensetzung. Ja: Das wird den „Älteren“ einiges abverlangen. Aber ein Arbeitsumfeld, dem der Nachwuchs den Rücken kehrt, wird allen ein Vielfaches mehr abverlangen. Es liegt deshalb im aufgeklärten Eigeninteresse aller, daran etwas zu ändern.
Aber natürlich haben wir nicht alles selbst in der Hand. Ja, unsere Arbeit ist wichtig. Und ja, unsere Aufgaben sind interessant. Aber das allein reicht heute nicht mehr, um guten Nachwuchs in hinreichender Zahl für die Rechtspflege zu gewinnen. Die Zahlen sind eindeutig. Die Bewerberzahlen haben sich in den letzten Jahren gedrittelt, die Zahl der Durchfaller an der HR Nord hat sich verdreifacht. Und das hat natürlich auch etwas damit zu tun, dass Besoldung und Entwicklungsmöglichkeiten in der Rechtspflege schlicht und ergreifend nicht mehr konkurrenzfähig sind. Dass fast alle Nachbarländer und der Bund in BesGr. A9 mehr bezahlen als Niedersachsen, dass es in den Kommunen bessere Entwicklungschancen gibt – das hat Konsequenzen. Da hilft es nichts, das Mantra „Justiz ist ein attraktiver Arbeitgeber“ zu wiederholen. Gefragt sind konkrete Verbesserungen, die in Zeit und Geld gemessen werden können.
Der Arbeitskreis II hat daher Anforderungen an ein konkurrenzfähiges Dienstrecht für Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger formuliert. Dazu zählen im Bereich Besoldung neben einer Eingangsbesoldung nach BesGr. A 11 NBesO und der Ausschöpfung der Stellenobergrenzen die Schaffung einer eigenen Besoldungsordnung, für deren familienfreundliche Ausgestaltung konkrete Vorgaben gemacht wurden. Und weil auch die HR Nord im Wettbewerb um guten Nachwuchs für den Lehrkörper steht, zählt dazu auch die Umwandlung der A 13-Stellen in Stellen der BesGr. W 2 NBesO.
Zu den nötigen Arbeitsbedingungen gehört auch die Rückkehr zu einer Vertrauensarbeitszeit, die diesen Namen verdient und sowohl den europarechtlichen als auch den Anforderungen der rechtspflegerischen Unabhängigkeit gerecht wird. Nordrhein-Westfalen hat es vorgemacht, Niedersachsen muss es nachmachen: eine gesetzliche Grundlage für eine kollektive Vereinbarung, die von der Pflicht zur Zeiterfassung befreit.
Diesen Vorschlägen ist der Rechtspflegertag ebenso gefolgt wie der Forderung, im NJG eine gesetzliche Grundlage für das Rechtspflegerpräsidium zu verankern, um die Kolleginnen und Kollegen vor sachfremden Einflussnahmen auf die Rechtspflege zu schützen. Wer was macht – das entscheiden die Kolleginnen und Kollegen am besten selbst.
Damit steht dem VdR die Arbeit an der Verwirklichung dieser Forderungen bevor. Allen Mitwirkenden der Arbeitskreise einen herzlichen Dank – und einen schönen Gruß an Ihre / Eure Wahlkreisabgeordneten: Gute Rechtspflege gibt es nicht umsonst!
Verband der Rechtspfleger e.V. - Gut aufgestellt für die Zukunft?
Neben inhaltlicher Arbeit hatte sich der Rechtspflegertag 2023 auch mit der Frage zu beschäftigen, ob die Verbandsstrukturen noch geeignet sind, um die Herausforderungen der Gegenwart zu meistern. Der Tenor: grundsätzlich ja, aber…
Über insgesamt fünf Änderungsanträge war zu beraten und abzustimmen, um mehr Effizienz und gleichzeitig mehr Mitsprache zu gewährleisten.
Was ändert sich?
Es wird künftig für bestimmte Themen Beisitzerinnen und Beisitzer geben, die ihre Perspektive in die Arbeit des erweiterten Vorstands einbringen. Für den Anfang sind das die Perspektiven der Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger einerseits und die der Kolleginnen und Kollegen an den Staatsanwaltschaften andererseits, um beide Gruppen wieder näher an die Verbandsarbeit heranzuführen. Denn wenn wir unsere Arbeitsbedingungen nicht selber gestalten, dann gestalten andere für uns.
Da fehlt eine Gruppe? Zum Beispiel die Seniorinnen und Senioren? Stimmt! Falls Sie Interesse haben, sich zu engagieren, melden Sie sich gerne bei einem Vorstandsmitglied Ihrer Wahl.
Was ändert sich noch?
- Der Rechtspflegertag hat den Weg frei gemacht für einen zentralen Beitragseinzug. In Zeiten des Internets ist es kaum noch zu rechtfertigen, dass jede Abteilung ihre Mitglieder selbst verwaltet. Wenn das vor Ort auch so gesehen wird, kann jede Abteilung entscheiden, künftig den zentralen Beitragseinzug zu nutzen.
- Die Mindestdelegiertenzahl wird von eins auf zwei angehoben, um die Rechte kleinerer Abteilungen zu stärken.
- Die Einreichungsfrist für Anträge zum Rechtspflegertag wird von zwei Monaten auf eine Woche verkürzt, um länger als bisher und damit im Ergebnis mehr Mitsprache zu ermöglichen.
Virtuelle Rechtsantragstelle
Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit
und den Fachgerichtsbarkeiten
In der Sache begrüßt der VdR in seiner Stellung an das BMJ die Einführung einer virtuellen Rechtsantragstelle als eine sinnvolle Ergänzung. Gerade im ländlichen Raum ist eine virtuelle Rechtsantragstelle für diejenigen eine attraktive Alternative, die primär aus wirtschaftlichen Erwägungen die Rechtsantragstelle der anwaltlichen Vertretung vorziehen. Allerdings gilt es zur Kenntnis zu nehmen, dass viele Rechtsuchende sich auch deshalb an die Rechtsantragstelle wenden, weil sie die persönliche Unterstützung durch ein menschliches
Gegenüber suchen und schätzen. Diesen Personenkreis de facto auf eine digitale Kommunikation zu verweisen hieße, ihnen Steine statt Brot zu geben. Uns ist bewusst, dass der Entwurf dies nicht beabsichtigt. Uns ist aber gleichermaßen bewusst, dass die chronische Unterfinanzierung der Justiz in diese Richtung drängen wird. Hier gilt es sicherzustellen, dass die gute Absicht nicht durch fiskalische Nöte konterkariert wird.
Darüber hinaus sind wir der Meinung, dass eidesstattliche Versicherungen in der virtuellen Rechtsantragstelle nur dann abgenommen werden dürfen, wenn eine Aufzeichnung der Erklärung stattfindet. Andernfalls würde die eidesstattliche Versicherung ihre Funktion einbüßen, weil die absehbaren Beweisnöte
das strafrechtliche Verfolgungsrisiko stark verminderten.
Schließlich ist der Erfüllungsaufwand deutlich zu gering veranschlagt. Statt angenommener Investitionen von rund 177.000 Euro und laufender Kosten von rund 115.000 Euro dürften bundesweit tatsächlich Investitionen in Höhe von 6,6 Millionen Euro und 1,9 Millionen Euro jährlich für laufende Kosten zu veranschlagen sein. Der Entwurf irrt hier gleich mehrfach: Rechtsantragstellen gibt es auch bei Landgerichten, Obergerichten und Staatsanwaltschaften. Die Einrichtung lediglich eines Arbeitsplatzes pro Gericht dürfte bereits bei Gerichten mittlerer Größe unzureichend sein. Und auch der angenommene Umfang der Ausstattung ist unzureichend.
Die Stellungnahme des VdR lesen Sie hier.
RI - 18.01.2023